Performative Skulptur im öffentlichen Raum
2017
Brigitte Borchhardt-Birbaumer
Zu den körperlichen Interventionen und künstlerischen Gesten
von Sabine Müller-Funk
Die performativen Auftritte Sabine Müller-Funks von etwa 1998 bis ins Jahr 2017 integrieren alle wichtigen Aspekte ihres Schaffens und sind daher als zentrale Werkgruppe zu betrachten. Sie stehen nah im Zusammenhang mit ihren Skulpturen, die oft im öffentlichen Raum (egal ob in der Stadt oder auf dem Land) eine Begehung und erweiterte Betrachtung erfordern. Das Sehen ist also nicht mehr auf einen statischen Punkt der Zentralperspektive reduziert, sondern das Kunstwerk wird selbst im Galerieraum erwandert. Nicht nur das von der Künstlerin hochgeschätzte Material Glas in seinen ambivalenten Zuständen von flüssig (im heißen Guss) und hart (in der kühlen Luft erstarrt), aber auch gefährlich brüchig, sondern auch die Praxis des Einschreibens von Texten in Natur- und Kunstmaterialien werden als grundsätzliche Frage des Kunstmachens verstanden und als eine Interaktion (die ehedem von Schamanen rituell ausgeführt wurde) verstanden, die zwischen Natur und Kunst vermittelt.
Meist kam es im Team mit anderen Kolleg_innen während Symposien, Gruppenausstellungen oder Projekten in der Landschaft von Wien, Niederösterreich, im Kärntner Krastal, bis Kroatien und Japan zu künstlerischen Aktionen im Sinn dieser Rites de passage. [1] Manche minimalistische Intervention, die mit Felicitas Thun-Hohenstein am besten als für die Gegenwartskunst typische ‚performative Geste‘ beschrieben werden kann, liegt dem näher, was als ‚Land-Art‘-Begriff in der Kunstgeschichte seit 1970 geläufig ist. [2] Zum Beispiel 250 Millionen Jahre, als Beitrag zum 50. Internationalen Bildhauersymposium Krastal 2017, mit einer in der Sonne schnell abtrocknenden nassen Eintragung der Buchstaben ‚Zeit‘ (einzeln und als Wort) im strahlend weißen Steinbruch, der mit wilden Pflanzen bewachsen ist. Im Zeitraffer gefilmt, bleibt die kaum sichtbare Interventi- on einzig mögliche Dokumentation dieser Schreibaktion der Künstlerin.
Der Aktionsradius der Betrachter_innen wurde auch mit zwei Arbeiten Sabine Müller-Funks in Abiko in Japan 2006 vergrößert: Die Buchstaben together wurden mit weißer Farbe auf einzelne Baumstämme während eines Künstlersymposiums gemalt und waren ephemer nur aus einer einzigen Perspektive lesbar. Die Einschreibung verweist somit auf die Begrenztheit un- seres Gesichtsfelds und Blickwinkels. Die Aktion des Einschreibens ist und war zwar performativ, aber fand nicht demonstrativ vor Publikum statt. Der körperliche Akt bleibt nur so lange präsent, bis die Farbe abgewaschen ist und die Rinden wieder über diese Stellen wachsen. Ebenso ephemer war die zweite Aktion Here, mit 400 Meter roter Schnur und Wegweisern am Boden eines Bambuswaldes: ,You are here‘ wird zur Kartografie im Unübersichtlichen. Immer geht es Sabine Müller-Funk dabei auch um die Spur eines Abwesenden und des baldigen Verschwindens sprachlicher Manifestationen, auch wenn diese an sich Erinnerungsmanifestationen sind, wie sie in ihrem Gespräch mit Maria C. Holter betont.
Grundsätzlich ist bereits die Intention Müller-Funks während ihres Malereistudiums in München bezeichnend, ihre Interessensgebiete in die skulpturale Glasgestaltung mit der damit verbundenen handwerklichen, stark körperlichen Praxisarbeit zu erweitern. Beim zerbrechlichen Glas ist der Gegensatz eines brutalen Einschreibens mittels Trennscheibe von Bedeutung: Hier sind die Spuren nicht mehr zu löschen. Die körperliche Aktion bleibt sichtbar. Dazu passt der Rekurs der 1990er-Jahre auf den ‚performative turn‘ (Thun-Hohenstein) der 1960er-Jahre, der mit einer zweiten Generation von Künstler_innen neue Impulse erfuhr. Die politischen Konzepte enthielten neben einer ökologischen Komponente auch postkoloniale Überlegungen. Der Wan- del erfordert eine bis heute in der Kunsttheorie nicht vollständig eingelöste veränderte Raumauf- fassung, die auf soziopolitische Missstände aufmerksam macht, institutionskritisch und wenig marktkonform ist, und die die bereits erwähnte aktive Haltung von den Betrachter_innen ein- fordert. Die Dimension der Werke verlangt das Hineingehen, Umwandern und einen Zeitabläufe umspannenden Aufwand, zuweilen einen zweiten Gang, nachdem sich ein Kunstwerk in der Natur wieder verändert hat. Für Thun-Hohenstein sind nach dem ‚performative turn‘ daher durch die Kunstkritik eingeführte Begriffe wie ‚Land-Art‘ eigentlich obsolet, trotzdem verwenden wir sie zur Unterscheidung weiter.
Die Überschneidung komplexer Ebenen, die nur durch genaue Differenzierungen trennbar sind, zeigen sich vor allem in dem durch Fotografien dokumentierten Hauptwerk Blick von Müller-Funk, einer 120 Meter breiten Rasenfläche im Begrisch Park (Perchtoldsdorf/NÖ), wo 2009, ausgehend von einem Symposium des Kunstvereins artP, die Einschreibung mit Hilfe abgesteckter Buchstaben mittels Mähmaschine eingeschnitten wurde. Buchstäblich weist das perspektivisch entzerrte Wort ‚Blick‘ als Aufforderung auf den zu erwandernden Aussichts-Stand- punkt der Betrachter_innen hin und lässt neben der alten ‚Welt-Landschaft‘, einer großen Übersicht in Gemälden der niederländischen Renaissance, an die kolonialen Eroberungszüge der Europäer_in- nen bis ins Spätbarock und 19. Jahrhundert denken, aber auch an die gesuchte schöne Aussicht der Romantik mit melancholischem Wanderer über dem Nebelmeer. Diese und andere religiös aufgeladene Natur-Blick-Ikonen Caspar David Friedrichs standen am Ende einer positiven Einstellung zum in letzte unberührte Weltgegenden vordringenden männlichen Abenteurer. Doch blieben nach dem Exotismus nur noch dunkle Kontinente der menschlichen Psyche, die lan- ge weiblich konnotiert waren, und die psychologisch überfrachtete Nachtzeit als Orte für innere, die als vom Gefühl bestimmte Gebiete der Gedankenreisen, abgetan würden.
Die Gartenkunst als ,dritte Natur‘ hat als weiterer Aspekt schon immer geometrische Einschnitte in Boden und Bäume vorgenommen, die Natur ‚getrimmt‘ für besondere Prospekte. Doch Horst Bredekamp hat kürzlich die in der Kunstgeschichte bis jetzt propagierte scharfe Trennung zwischen dem hierarchisch interpretierten Barockgarten (angelegt im Auftrag einer herrschenden Aristokratie) und dem angeblich demokratischeren, weil wilden und in der Aufklärung (zuerst in England) entstandenen Landschaftsgarten relativiert.[3] Als künstliche Eingriffe in die Natur müssen beide gelten und die Paradoxie, die Welt in begriffliche und mathematisch-geometrische Bestandteile gegen jene rahmenlose Offenheit der an sich göttlichen Sicht auf die Weite der ‚Welt- landschaft‘ zu zerlegen, hat Gottfried Wilhelm Leibniz zu seiner Wunschökonomie des Blicks in Form der Monadenlehre geführt. Philosophie und Poesie sind zwei unsichtbare Mitläufer, die der performativen Schreibgeste (hier ausgeführt mit der so prosaischen Mähmaschine) Müller-Funks nicht nur im Fall der ‚Blick‘-Schriftzeichen und dem ephemeren Rasenschnitt innewohnen.
Rosalind Krauss hat 1979, angesichts der in der weiten Landschaft tätigen Minimalisten und Land-Art Künstler in Amerika vom ‚erweiterten Feld‘ gesprochen, in dem sich die Skulptur seit- dem entfaltet.[4] Waren es für Dennis Oppenheim, Robert Smithson und Walter de Maria die Wüsten und Steppengebiete in Utah, Kalifornien oder Texas, wo im unbewohnten Gebiet mit ein-
fachen symbolischen Formen wie Spirale und Quadrat, die teils auf die Prähistorie zurückgehen, mit Körpereinsatz begehbare Gebiete eine künstlerische Umwandlung erfuhren, sind es bei Sabine Müller-Funk irgendeine Straße, ein Bachbett, Wald und Wiese in Europa oder Asien, sowie in einigen wenigen Fällen auch der Innenraum einer Galerie oder einer Kunsthalle.
Mit ihrer Asphaltschrift, 2004, in der Nähe von Drosendorf, die mit Hilfe eines Teerwagens der Straßenmeisterei Geras dessen Spritze für kleine Ausbesserungen zur Füllfe- der machte, hat die Künstlerin während eines Symposiums mit Landschaftsarchitekten ihre von Walter Seitter in diesem Band ausführlich kommentierte ‚heißeste‘ Performance auf einer Neben- straße in Niederösterreich vollzogen. Damals wurde von Beat Wyss – siehe Text von Wolfgang Müller-Funk – ein aggressiver Aspekt in Müller-Funks Performance konstatiert, dieser kommt in der ‚feministischen Avantgarde‘ öfter vor. Nicht nur die poetische Schrift oder der minimale und somit sanft anmutende Eingriff ist zu beachten, sondern die Gefahr, die von der heißen Flüssigkeit ausgeht und Verletzbarkeit in Folge suggeriert. Das Einschreiben mitsamt Signatur und Datum nach zwei gegeneinander gerichteten Endlos-Zeilen ist durch den heißen Teer dauerhafter und erinnert an schmerzliches Einbrennen in Tier- oder Menschenhaut. Dabei sind Gina Pane, Jenny Holzer, Marina Abramović und VALIE EXPORT mit ihren unter die Haut gehenden Performan- ces der Body Art in Erinnerung zu rufen, aber auch Vito Acconci. Jedoch ist auch das Verausga- ben körperlicher Kräfte wie sie von Carolee Schneemann und Joseph Beuys in manchen Aktionen ausgereizt wurden, ein wichtiger Aspekt. Zuletzt sei erwähnt, dass Asphalt als fließendes Material auch in einer der letzten Aktionen von Smithson Verwendung fand.
Am 17.9. 2005 folgte um 18 h eine Einschreibung mittels Farbspritze im »Mythischen Ort der Fülle« (Walter Benjamin), dem Naschmarkt in Wien auf 63 Brettern, die anlässlich eines Umbaus in der Kurzparkzone vor der Giradistraße lagen. Dabei ging es Müller-Funk um die Identität des Ortes, des Marktes an sich als Platz vielfältiger Kommunikationen, um die Rolle der Künstlerin und auch selbstreflexiv um die Aktion selbst, wobei spontane Mitwirkungen der Begleiter wie des zufällig vorbeikommenden Publikums und der Standler eingeflossen sind. Die beschriebenen Bretter wurden zudem später gegen eine Wortspende als Kunstwerke verschenkt. Diese Geste erinnert an Multiples von Beuys, die als soziale Komponente jene für alle erschwinglichen Kunst- werke bedeuten.
Die verwendeten Geräte wollte die Künstlerin allerdings in ihrer Arbeit Umbruch für das Waldviertel-Festival Ruhelos wegen eines ausgerufenen ‚Traktordays‘ am 23. Juli 2006 um eine Egge am Traktor und Schreiben in die Erde eines Ackers erweitern. Nach einigen Übungsrun- den, kam es aber zu einem Einschreiben mittels Rechen in eine gemähte Wiese. Das ausgerechte Wort ‚Umbruch‘ verweist nicht nur auf die Herstellung von Büchern bis zurück zum Diptychon zweier Wachstäfelchen, sondern auf den aktuellen Umbruch in der Landwirtschaft. Dabei war die Tatsache, dass diese Äcker einer Familie gehörten, die gerade ihren Bauernhof aufgeben musste und buchstäblich an einem ‚Umbruch‘ ihres Lebens stand, der melancholische Aspekt. Die Geste des Rechens, Schneidens ist traditionell wie das Nähen bei Pane, EXPORT oder Roberta Lima neben der Abwehr von Vorurteilen gegenüber traditionellen weiblichen Tätigkeiten vom aggres- siven feministischen Aspekt begleitet, sie verweist auf Valerie Solanas Manifest und ‚Society for Cutting up Men‘ von 1968. [5]
Wenig elitäres Alltagsmaterial ist der Stein, auf den schon seit der Prähistorie geschrieben wird. Dabei sind die in Borgo (Oberitalien, nahe Trient) in ein trockenes Bachbett auf flache Steine notierten ‚Landschaftsbeschreibungen‘ Müller-Funks 2005 auf neue poetische Perspektiven für wandernde Besucher ausgerichtet. Auf verfestigter Flüssigkeit die Landschaft durchschreiten verlegte die Schrift auf bruchsichere Glasplatten, die poetischen Sätze wurden beim Über- schreiten vor Publikum durch die Künstlerin abgelesen und die jeweils letzte Platte in ihrer Per- formance aufgenommen und vor die erste auf den präparierten Waldboden in Stalky in Tschechien 2013 gelegt. 1998 gab es eine erste Beschriftung und Auslegen der Glasplatten in der Natur.
Wie im Fall der akzentuierten Steinkreise Richard Longs könnten die Staubperformances von Sabine Müller-Funk bei Windstille auch im Freien ausgeführt werden. Sand war in wichtigen Arbeiten Smithsons, Yoko Onos und Magdalena Jetelovas ein wesentliches Material, Dennis Op- penheim vollzog gegen die Minimalisten seinen Body-Art-Einsatz 1970 Parallel Stress in einer Mulde zwischen zwei Sandhaufen – seine körperliche Geste wurde zu einer der ersten skulptu- ralen Raumdemonstrationen. Die Sandschreibe- und -saugaktionen Leerschrift hat die Künstlerin 2013 mit Hilfe eines Staubsaugers in Sandteppichen im Kunstverein Baden und 2017 in der Stadtgalerie im kroatischen Labin durchgeführt. Die beiden filmischen Dokumentationen zeigen, wie die Künstlerin vor Publikum mittels Saugrohr im ersten Vorgang durch Umrundung des Gevierts im Kreis schreibt und in einer zweiten Überarbeitung mit dem Saugbesen durch Blockschrift noch mehr Sand entfernt, bis zuletzt die Verwirrung des Unleserlichen eintritt. Nach Vorgabe einer Gesellschaftskritik mittels Sprachreflexion wird das Gesagte wieder gelöscht. Der didaktische Ge- halt vieler Performances wird in ihrer Intention zur Mahnung der Unhaltbarkeit des Chronotopos in der Kunst – die Schrift der Erinnerung ist vergänglich wie wir selbst. Sie taucht auf und verschwindet augenblicklich wieder aus unseren Gedanken, die Buchstaben sind Nomaden und eine Welt als lesbares Buch, wie das Mittelalter sie symbolisch verstanden hat, ist nur eine Behauptung.
[1] Arnold von Gennep: Les Rites de Passage, Frankfurt 1909.
[2] Felicitas Thun-Hohenstein: Performanz und ihre räumlichen Bedingungen, Wien 2012.
[3] Horst Bredekamp: Leibniz und die Revolution der Gartenkunst, Berlin 2012.
[4] Rosalind Krauss: Sculpture in the Expanded Field, in: October Vol. 8 (Spring 1979), S. 30 – 44.
[4] Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer (Scum), Berlin 1982.