Rede
2002
Franz Schuh
Rede anlässlich der Eröffnung bei eco-art Wien
Sehr geehrte Damen und Herren, seitdem ich die Arbeiten von Sabine Müller-Funk kenne, mache ich mir über diese Arbeiten Gedanken und Gedanken haben die Eigenheit ins Allgemeine abzuschweifen. Diese Eigenheit kommt vielleicht einer Ausstellung zu Gute, in der man konkret eh alles sehen kann und die allgemeine Überlegung, die darauf verzichten muss das konkret Sichtbare zu beschreiben, bietet den Vorteil, dass man durch diese Überlegungen eine der möglichen Perspektiven finden könnte, in der das Sichtbare, in unserem Fall Sabine Müller-Funks Werk, seine unverwechselbare Bedeutung hat.
So beginne ich ganz allgemein: Es gibt hunderte Definitionen von Kunst, und nur – verzeihen Sie – Idioten glauben zu wissen, dass diese scheinbare endlose Definierbarkeit ein Beleg dafür ist, dass Kunst sich eben nicht definieren lässt. In der Vielzahl der Definitionen ist die Sache der Kunst gut aufgehoben, eine Sache, die dem historischen Wandel ebenso, nein nicht unterliegt, sondern „aufliegt”, wie sie auch einen Perspektivismus, eine Vielzahl von Sichtweisen fördert, ohne dabei diese Pluralität der „bloßen Ansichtssache” anheimgeben zu müssen. Dazu kommt, dass jedes einzelne Werk eine Idee davon gibt, was Kunst sozusagen im Ganzen sein könnte. Welche Idee ist es also, die aus meiner Sicht die Arbeiten von SMF über die Kunst schlechthin nahelegt, wie lautet die Definition von Kunst, die ich mit ihrem Werk verbinde?
Diese Definition lautet schlicht, wenngleich mit einem problematischen Wort ausgedrückt: Respekt dem Material gegenüber. Das ist eine allgemeine Definition von Kunst, in ihr klingt einerseits Pathos an, das Pathos der Rücksichtnahme, die bis zu heroisch gemeinter Unterwerfung gehen kann. Andererseits erinnert diese Definition auch an das Handwerkliche jeder Kunstausübung. Der Handwerker als Idealtypus respektiert das Material, aus dem er etwas, und selbst technische Vorgänge laufen nicht ganz respektlos dem Material gegenüber ab, wenngleich die Technik naturgemäß und zurecht den anderen Pol dieser komplizierten Balance Mensch und Material betont: Die Technik trachtet naturgemäß und zu Recht nach der Beherrschbarkeit des Materials für standardisierte, vorgegebene Zwecke.
In der Kunstausübung liegt der Akzent oft genug auf der Befreiung des Materials aus seiner Zweckgebundenheit. Der Respekt dem Material gegenüber wird dabei gleichsam aus einem ökonomischen Grund stärker: Der Respekt hat die Funktion einer Bindung – ohne ihn würde die Befreiung der Zweckgebundenheit schnell in Willkür enden. Und willkürlich könnte man dem Material nicht abringen, was ihm die künstlerische Arbeit abringen muss, nämlich strenge und zugleich freie Formen. Ich sage „Respekt” und meine damit eben nicht Liebe; ach ja die Liebe – auch die Liebe zum Material hat respektvolle Züge, aber die Liebe hat auch eine Intimität, die der Künstler mit seinem Material besser nicht pflegen sollte. In der Intimität des Künstlers mit dem Material liegt eine der scheinbar unendlichen Definitionsmöglichkeiten von Kitsch. Im Wort „Respekt” will eine gewisse, besser ungewisse Distanz, eine befremdliche, auch ängstlich machende Distanz zum Material bei aller Nähe auch mitgesagt sein. Ulrich Beil hat in einem Aufsatz zu den Skulpturen von Sabine Müller-Funk dieses Thema ganz in diesem Sinne berührt – und mir dann auch noch deutlich gemacht, dass der besondere Stoff mit dem SMF arbeitet, wegen einer charakteristischen Paradoxie diesen Respekt nur steigern kann […]
Der Kunststoff Glas produziert Sprachbilder, Metaphern. Besser kann man es nicht sagen, auch deshalb, weil der zitierte Text auf eine Besonderheit des besonderen Materials hinweist: Glas ist ein gefährlich privilegiertes Material, nicht nur der ausbeutbaren Zweideutigkeit seiner physischen Eigenschaften (sperrig und zugleich luftig) wegen. Glas ist auch ausdeutbar, es bereichert den Metaphernschatz der Menschheit ungeheuer – von den Scherben, die Glück bringen bis zum gläsernen Kinn des Boxers.
So kann man sagen, dass Glas zwei kompliziert, wenn nicht rätselhaft so doch staunenswert miteinander verwobenen Welten angehört: der physikalischen und der Sprachwelt. Die Ähnlichkeit mit dem Papier ist nicht Zufall sondern Schicksal. In diesem Sinne kann man zum Beispiel SMFs „Glasfenster”, die durch Schriftzeichen verdunkelt werden, die dadurch ihre Durchsichtigkeit verlieren, ambivalent beurteilen: einerseits kann man dadurch die Zusammengehörigkeit von Sprache und Glas sehen – andererseits aber könnte es sein, dass so zum Ausdruck kommt, wie sehr die Schrift das eigentliche Material verdeckt, wie sehr die Wörter versuchen, das Glas in den Schatten zu stellen.
Sollte Zweiteres gelten, so wäre das ein Grund mehr mit dieser Rede sofort aufzuhören und sie zu bitten die ausgestellten Kunstwerke intensiv wahrzunehmen.
Franz Schuh
2002