Rede zu: „Bilder und Texte über das Wasser und die Sprache“
2022
Brigitte Borchhardt-Birbaumer
Die drei Gruppen von Arbeiten, die SMF hier präsentiert, sind aus den letzten Jahren, die Serie der Plakatüberschreibungen waren zu einer Ausstellung zum Thema Kreis, die drei Arbeiten „Stromaufwärts, Quelleneinwärts“, „Strömender Schwärze Vergessen“ und „Ein Nichts, ein Etwas in Einem“ von 2019 beziehen sich auf ein Haiku, das diese drei Titel zu drei Zeilen ordnet. SMF spricht dabei von einer Wasserschrift, die sie der komplexen Bearbeitung von Aludibond, Acrylfarbe und Lack abringt, dabei wird der Spiegel sandgestrahlt und mit Leimbeschichtung in Tagwerken mit dem umgedrehten Pinselstiel beschriftet. Diese Schriften sind partiell lesbar und sie können auch, wie wir aus ihren früheren Arbeiten wissen, Gedichte und Prosa von Dichter_innen (Persien, Syrien, zuweilen der Länder, in denen sie bei Symposien oder durch Stipendien tätig ist) enthalten.
In der rezentesten Gruppe von sieben Werken zu „Himmelüber/skyover 2021“ sind es Texte der syrischen Dichterin Maram-al-Masri oder des Dichters Hamed Abbouds. Die Blicke über das Mittelmeer in beiden Richtungen (nach Norden und Südosten) sind das Thema. Die Bilder sind mit diesen fast unsichtbaren Texten überlagert, anwesend und gleichzeitig abwesender Text, nur wie ein Echo hörbar oder auch nur im Streiflicht zu sehen. Diese Transparenz ist ein Markenzeichen für den Ausdruck, den SMF erreichen möchte, wie die Halbdurchlässigkeit einer Art Membran, sie führt zum wichtigsten Konzept, die Sprache als eine Spur, ein Zeichen künstlerisch zu wandeln. Bei aller Offensichtlichkeit bleibt immer eine Rätselhaftigkeit – Bezug zu einem Buch, das sie während der Coronazeit gelesen hat: aber auch der Bezug zu G.A. Goldschmidt, der 2005 über die Fremdheiten in der deutschen Sprache, jenen Zwischenräumen des Unsagbaren, geforscht hat. Sprach-Wissenschaft und Kunst, auch Philosophie und Literatur auf der einen Seite und bildende Kunst auf der anderen Seite, sind für die Künstlerin das Arbeiten eines Hoffens beider Seiten.
Die Doppelnatur liegt auch im geistigen Charakter, der sich aus dem Material ergibt, widerspiegelt, mit dem sie arbeitet. Dabei ist bei den drei Arbeiten zum Haiku 2019 das Silber entscheidend, statt dem Gold der Byzantiner, das die Ikonenhintergründe opak macht, nimmt sie das mehr transparent schimmernde Silber wie eine Folie. Hier in den Fotografien ist die Verwendung der Pigmente auf dem Untergrund ohne Weißanteil wichtig, da dies die Erscheinung wiederum transparenter macht. Die wässrige Schrift am Himmel bildet mit den Fotopigmenten einen Sehnsuchtsraum beider Seiten (Blicke kreuzen sich über dem Mittelmeer), jene der Flüchtlinge, die sich nach Sicherheit und Freiheit sehnen in unsere Richtung, und unserer über das Mittelmeer in den Süden voller warmer Fernweh-Jugendträume. Assoziationen entspringen dieser Offenheit nach zwei Seiten, die für SMF wie der Spiegelglanz einer Wasseroberfläche etwas ganz Konkretes sein können/dürfen wie auch die nomadisierenden Buchstaben dem konkret entsprechen.
Die Freunde und künstlerischen Teamworker_innen mit der Künstlerin wissen, dass sie jener reduzierten konkreten Richtung wie auch der Konzeptkunst nahesteht. Deshalb geraten die dämmrigen Stimmungen niemals in die Nähe des Sonnenuntergangkitschs platter Urlaubsfotos, sie zeigen die Zwischenstunden, diese könnten ambivalent Morgen und Abend bedeuten, holen das „Tramonto“ eines zwischen Musik und bildender Kunst jonglierenden venezianischen Malerpoeten hervor: Giorgione. Damit habe ich mir bereits eine Assoziation erlaubt, eine typisch kunsthistorische, noch dazu persönliche Vorliebe. Es folgt noch eine: Zur Sehnsucht gibt es einen Austausch zwischen Europa und der Türkei durch Nobelpreisträger Orhan Pamuks Begriff seiner traurigen Sehnsucht: Hüzün. Er beschreibt das Istanbul 60/70 gleich in anhaltender Untergangsstimmung eines ehedem großen Reiches trotz wirtschaftlichem Aufschwung nach dem 2. Weltkrieg wie das graue Wien dieser Jahre mit seinen Rückblicken auf Untergang der Monarchie, damit entspricht Hüzün unserem geliebten Wiener Grant, der Mieselsucht. Hüzün übersetzt heißt sehnsüchtige Traurigkeit, Betrübnis, aber ganz wenig abweichend daneben steht Hüsün als die Schönheit und nahe (im Blick zurück auf die Wasserschrift SMFs) steht Hüsnühat: die Schönschrift, die Heiliges notierende Kalligrafie. Die Künstlerin selbst beschreibt uns die Herkunft ihres Begriffs Wasserschrift anders: bei John Keats heißt es in einer Grabinschrift: Here lies one, whose name is written in water. Von hier aus könnte ein Seitenweg beschritten werden in die Arte memoria, Mnemosyne gehorchend, und in ihr Gegenteil die Damnatio memoria, das Auslöschen von Schrift und Figur.
Damit bin ich an einem Punkt, der mir schon bei der Behandlung der stark performativen Anteile der Arbeiten in der Kunst von SMF für das Buch von 2018 „Bruch Spur Zeichen“ aufgefallen ist: dem bleibend poetischen Aspekt in ihrem Werk. In unserer Gegenwartskunstphase, in der diese – die Poesie – aktuell im schrillen Geschrei der Cancel Culture unterzugehen droht, hält sie dieses wichtige Dazwischen der Wortbilder als aktive wie passive Zeichen in ihrer sensiblen Ambivalenz fest, wenn auch oft nur für Momente, denn das Ephemere ist eine weitere Ausdrucksform, die SMF mit dem performative turn der 1960 und 70er Jahre verbindet, aber auch mit den bereits ökologisch engagierten Land-Art-Konzepten damals. Die Geste der Grenzziehungen aus Stoff durch Christo, seinem „Valley Courtain“ oder dem „Running Fence“ südlich von San Francisco tauchen da auf, denn er hat sie als Überwindungsversuch des „Eisernen Vorhangs“ im Kalten Krieg gesehen, wie er seine Schirme als Schriftziehungen in Japan und N-Amerika beschrieben hat. Noch ephemerer und ironischer war der Vorschlag von Joseph Beuys Hasenrampen über die Berliner Mauer zu legen oder sie um 5 cm zu erhöhen, um ihr eine ästhetischere Höhe zu verpassen.
SMF, die für mich eine Nachfahrin dieser poetischen Land-Art-Gesten ist, sagte mir, dass sie in den Jahren der Coronapandemie auch zu anderen Mitteln greifen musste und mit anderen Materialien im Atelier arbeitete und nicht ihren minimalen Eingriffen in die Natur mit Rechen, Mähmaschine, Asphaltkocher plus Spritze und den brutaleren Einschnitten in Baumrinde mit Messern, in Glas mit Trennscheibe nachgehen konnte. Sie nähert sich daher der poetischen Form der Gesellschaftskritik mittels speziell aufbereiteter Fotografie und Einschreiben in die pigmentierten Oberflächen an, die gleich Landschaften erscheinen.
Ich komme nochmal zu der leichteren Kost des Inhaltlichen gekreuzten Blickkonzepts über dem Meer zurück: Das Mare nostrum, das Mittelmeer die megale thalassa (als griechische Frauenfigur, wie es den Nil als männliche Figur gab), ist heute zu einer Grenze geworden, in der Antike empfand man dieses Meer nicht als trennendes Element, sondern als eine Brücke zwischen den Anrainerländern. Ich sage das, weil auch in der Bildserie „Himmelüber“ (ich gestehe ich denke auch an Wim Wenders Berlinfilm kurz nach dem Fall der Mauer) mit der poetischen Materialbehandlung jede Grenzbestimmtheit aufgehoben ist: Sehnsucht kennt auch inhaltlich hier keine Grenzen. Zygmut Bauman weist in seinem Buch „Die Angst vor dem anderen“ auf Hans Georg Gadamer zurück, der das Verstehen als eine „Horizontverschmelzung“ bezeichnete, diese ist da in der Kunst, auch in der Wissenschaft, doch in unserer Lebenswelt ist sie getrübt durch schmutzige Alltags-Migrantenpolitik (ganz Europas). Man sollte in Österreich ironische Zeltarbeiten machen derzeit…aber auch an die „Leerschrift“ in mehreren performativen Schreibauftritten SMFs mit Sand/Staub und Staubsauger sei erinnert.
Statt moralischer Panikmache oder didaktischer Einsichtsforderung möchte ich zuletzt aber noch auf zwei erlaubte Assoziationen der Poesie und Offenheit dieser Werke zurückkommen: die erste ist eine Assoziation der Künstlerin. Sie erzählte mir erst kürzlich, dass ein Erlebnis auf einem Boot, der Blick auf die Wasseroberfläche und ihre ständige Veränderung einer teils unmöglichen Durch- oder Einsicht in eine unergründliche Tiefe zu einer spiegelhaften Abwehr des Blicks auf einer scheinbaren Silber-Fläche schon die drei Haiku-Arbeiten „Stromaufwärts, quellenwärts“ mit beeinflusst hat. Dieser dunkle Möglichkeitspool sei ihr bis heute Inspiration. Dazu möchte ich eine weitere passende Aussage zur Verwendung von Sprachen im Sinne SMFs einbringen. Es handelt sich um die Lyrikerin Ingeborg Bachmann, die sie bereits für eine Schreibarbeit in einer Wiener Hotellobby benützt hat: Den Mittelteil ihres Gedichts „Exil“: „Ich mit der deutschen Sprache/Dieser Wolke um mich/die ich halte als Haus/treibe durch alle Sprachen.“ Dies habe ich gewählt, weil in SMFs Performances im Ausland (Tschechien z.B.) meist die Sprachen vor Ort genützt wurden. Als kleines selbstreferentielles Wortspiel ihrer Kunst möchte ich auch an die Land-Art-Arbeit erinnern, in der sie mit Wasser selbst das in der Luft schnell verschwindende Wort „Zeit“ geschrieben hat, einer Schrift aus Wasser im Krastaler Steinbruch 2017. Minimaler Eingriff mit maximaler Wirkung wie mein Favorit des Ephemeren temporärer Natur-Interventionen: „Blick“ eingemäht in die Perchtoldsdorfer Wiese 2009. Denn zum Meer und Wasser gibt es auch am Land, im Grünen, dieses Gesagte als begehbare Perspektive.