„Durch die Membrane deiner Worte schaue ich dich an,
durch die Membrane meines Blicks gehe ich in die Welt.”

2017

Sabine Müller-Funk im Gespräch mit Maria C. Holter am 11. April 2017 im Wiener Atelier der Künstlerin

Zwei Frau sitzen vor ein paar Bildern und unterhalten sich
Maria Christine Holter im Gespräch mit Sabine Müller-Funk, 2017

Maria C. Holter: Als kleines Präludium zu unserer Unterhaltung heute eine Frage, die Du Dir vermutlich schon selbst gestellt hast und die wohl auch das Publikum interessiert, nämlich warum Kunst und nicht etwas Anderes in Deinem Leben?

Sabine Müller-Funk: Ich habe gedanklich ein wenig in meiner Kindheit herumgekramt und interessante Parallelen zu meinen heutigen Arbeiten gefunden. Was ich nämlich momentan mache, ist eine meditative Arbeit mit Sand: Eine gleichbleibende Menge von Sand wird hin und hergeschoben, verdichtet und wieder woanders hin verschoben. Mit dem Blick zurück in meine Kindheit ist mir eingefallen, dass ich solche Arten von Spielen sehr geliebt habe. Ich hatte mir eine Box aus Karton gebastelt, mit sechs verschiedenen Löchern, wo man oben etwas hineingeben konnte und unten kam dafür wieder etwas anderes heraus. Ich habe gewürfelt, in welches Loch ich etwas hineingebe: Wenn ich eine Eins würfelte, habe ich bei Loch Nr. Eins etwas oben hinein gesteckt, bei einer Drei in das Loch Nr. Drei usw. Das heißt, ich musste mich von einem dieser kleinen Dinge, die ich vorbereitet hatte, verabschieden, und stattdessen habe ich immer etwas Anderes unten herausbekommen. Die Menge der Dinge ist gleich geblieben, nur die Zusammensetzung hat sich in einem bestimmten Spiel verändert.

Maria C. Holter: Da spielt Gesetzmäßigkeit eine gewisse Rolle. Auferlegst Du Dir in Deiner Kunst auch Spielregeln und Gesetzmäßigkeiten?

Sabine Müller-Funk: Ja, ich habe schon immer ein Konzept, so eine Art ‚Konzeptbox‘. Mit der arbeite ich dann aber wiederum spielerisch – d.h. ich beziehe den Zufall mit ein.

Maria C. Holter: Zufall ist ein Stichwort, das gerade in der konzeptionellen Kunst wie ein Widerspruch klingt. Aber Zufälliges und Konzeptuelles scheinen sich in Deiner Kunst sehr gut zu vereinen. Ist der Zufall für Dich aber manchmal auch ein zu hohes Risiko?

Sabine Müller-Funk: Zufall, würde ich sagen, das ist immer das, was mit den Unwägbarkeiten des Lebens zu tun hat. Für mich sind diese Arten von Zufällen genau das Richtige, was sich ergibt, weil dann das Lebendige mit hereinkommt. Deswegen ist mir stets in meinen Arbeiten dieser Gegensatz wichtig, der Gegensatz zwischen diesem klaren Konzept und dessen ständiger Dekonstruktion.

Maria C. Holter: Kann man in diesem Zusammenhang auch von ‚gebrochen‘ sprechen?

Sabine Müller-Funk: Ja, genau.

Maria C. Holter: Damit sind wir schon beim Titel der Ausstellung und des Buches, anlässlich derer wir dieses Gespräch heute führen. Das Projekt läuft unter dem Übertitel ‚Bruch, Spur, Zeichen‘. Bleiben wir einmal bei dem Begriff des ‚Bruchs‘. Du hast schon angedeutet, dass Dir immer eine gewisse Brechung, vielleicht auch eine ironisch wichtig ist. Was bedeuten Begriffe wie ‚Bruch‘ und ‚Fragment‘ für Dich, die du ja sehr oft mit dem Material Glas arbeitest?

Sabine Müller-Funk: Dieser ironische Bruch ist deshalb für mich bedeutsam, weil mir bewusst wird, dass es wichtig ist, sich nicht so sicher zu sein, sich nicht zu ernst zu nehmen, immer auch so ein Konzept und eine solche Spielanleitung zu hinterfragen. Der Bruch, das Fragmentarische, das ist auch ein Lebensgefühl, dass man in einem zufälligen Ausschnitt lebt.

Maria C. Holter: Wie bist Du eigentlich auf Glas gekommen – als Herzstück Deiner Materialien, die Du für Deine Kunst verwendest?

Sabine Müller-Funk: Da ist mir auch etwas zusammen mit der kleinen Spiele-Box eingefallen. Ich hab als Kind eine zweite große Leidenschaft gehabt, nämlich zu fliegen. Mein Bruder hat mir damals sein schönstes Indianer-Kostüm geopfert und mir aus den großen Federn zwei Flügel zum Anschnallen gebaut. Er hatte es wirklich gut gemeint. Aber ich dachte wirklich, ich kann damit fliegen und stürzte mich von dem kleinen Hügel in unserem Garten hinunter: Ich landete in den Rosen und war ganz schrecklich böse auf meinen Bruder (beide lachen). Dieses Gefühl von Leichtigkeit, das auch das Fliegen beim Träumen repräsentiert, ist für mich auch dieses Glas. Muss es wohl sein. Und dann natürlich auch dieses Zarte, Verletzliche, das, worauf man achten muss.

Maria C. Holter: Du gehst ja mit ziemlich harten Geschützen auf Glas los. Ich weiß von Dir, dass Du eine Trennscheibe verwendest, mit der Du Spuren im Glas hinterlässt. Da spielt ja auch das Risiko oder die Chance des Scheiterns eine gewisse Rolle. Wenn man mit einem fragilen Material wie Glas arbeitet, muss man auch buchstäblich mit Brüchen rechnen.

Sabine Müller-Funk: Ja, aber das ist für mich einfach eine Art von Gravierwerkzeug; dieses verletzende Eindringen in die Oberfläche steht für mich dabei gar nicht so sehr im Vordergrund, auf jeden Fall nicht bewusst.

Maria C. Holter: Also eher ein Mittel zum Zweck?

Sabine Müller-Funk: Eher ein Mittel zum Zweck, um so eine Spur zu erzeugen und diese Eingrabungsspur zu hinterlassen. Natürlich ist auch dieser Vorgang etwas sehr Meditatives. Wenn ich in das Glas hineinarbeite, dann entsteht eine Vertiefung, die ich mit Graphit auffülle. Die ganze Fläche wird zunächst total schwarz und anschließend verschwindet wieder alles. Wie in den Zauberbüchern meiner Kindheit entsteht wie durch ein Wunder – wenn man alles wieder säubert diese Spur, die sichtbar übrig bleibt.

Maria C. Holter: Kommen wir nun zum zweiten Begriff im Titel des Projekts, ‚Spur‘, der sehr stark auf Deine Arbeits- und Herangehensweise schließen lässt. Nach den französischen Denkern Derrida und Jabès , aber auch nach Peirce , ist diese Spur der Bericht von der Anwesenheit dessen, was abwesend ist, wenn man dieser Semiotik folgt. Das ist auch ein treffendes Bild dafür, was Dir wichtig ist. Aber bei Dir ist die Spur selbst oft etwas Transitorisches. Bei Deinen Glasbildern bleibt die Spur. Sie zeugt von etwas, was nun abwesend ist, oft ein Gedanke, ein Text. Du hast auch Arbeiten gemacht, oder Interventionen, wie Du sie nennst, wo diese Spur wieder am Verschwinden und selbst transitorisch ist.

Sabine Müller-Funk: Bei diesen Performances, die mir auch wirklich wichtig und – weil sie eine sehr umfassende Aktion darstellen – auch sehr körperlich sind, gibt es meist Gegensätze. Beispielsweise als ich mit einer Asphaltier-Maschine folgenden Text geschrieben habe: „Entlang schreiben am Jetzt“. Das heißt, immer dort, wo die Spitze des Schreibgeräts ist, ist das Jetzt. Das ist für mich auch wieder so eine Art von Meditation darüber, wie wir uns im Leben fortbewegen. Die andere, subtraktive Form ist mit der Schrift verbunden, die ich mit einem Staubsauger erzeuge, wo die Schrift im Augenblick ihres Verschwindens erscheint. Das ist nun wieder so ein Gegensatz, der mich interessiert. Es ist genau das Gegenteil von dem Kinderspiel: Bei meiner Aktion bleibt zusehends weniger übrig.

Maria C. Holter: Ich denke auch an eine ältere Arbeit von Dir, an der ein bisschen transparent wird, wo Du lebst. Du wohnst nicht nur in Wien, sondern auch an der österreichisch-tschechischen Grenze, in Drosendorf. Wenn ich mich richtig erinnere, hast Du dort anlässlich eines Symposions mit einem Mähdrescher gearbeitet und Wörter wie ‚Umbruch‘ oder auch ‚Blick‘ im Feld hinterlassen.

Sabine Müller-Funk: Ja, das war aber nicht ganz so. Das hätte ich gerne so realisiert, aber derjenige, der das Feld zur Verfügung gestellt hat war ein Bauer, der von dem Umbruch in der Landwirtschaft bedroht war, davon, dass er da weg muss, weil er sich als Bauer nicht mehr ernähren kann. Er wollte nicht, dass ich dauerhaft das Wort Umbruch auf seinem Grund einschreibe oder einpflüge. Ich habe dann stattdessen gemähtes Gras mit dem Rechen bearbeitet und das Wort mit Heu geformt.

Maria C. Holter: Wir haben eben über transitorische Interventionen gesprochen. Wenn Du mit Deiner Trennscheibe in Glas arbeitest, entstehen auch Spuren, aber es sind bleibende Spuren. Trotzdem verfährst Du mit diesen Membranen der Glasschichten oder auch Folien, auf die Du Texte schreibst, so, dass man das, was Du dort hinterlässt, nicht wirklich entziffern, nicht mehr tiefer deuten oder gar lesen kann. Was ist Dir am Verschwinden Deiner Botschaften wichtig? Oder wie siehst Du diese Form des Vergänglichen und zugleich Dauerhaften?

Sabine Müller-Funk: Ja, dafür ist für mich dieses Material Glas einfach gut geeignet, diese Überlagerungen und Ablagerungen dessen, was wir so alles reden, deutlich zu machen. Dass sich das auch gegenseitig quasi ausschließt, überlagert und in dieser Fülle dann auch nicht mehr viel übrig bleibt.

Maria C. Holter: Trotzdem ist aber jeder Schriftzug, jede Schrift, alles Textliche ein Kampf gegen das Vergessen?

Sabine Müller-Funk: Genau. Es ist auch wieder diese Ambivalenz, die mich dabei beschäftigt. Ich liebe ja Lyrik und das geschriebene Wort, aber trotzdem hab ich dem gegenüber offensichtlich einen Skeptizismus.

Maria C. Holter: Du hast einmal ein ganzes Jahr der Schrift, dem Einschreiben und In-Kapseln-Fassen von Erinnerung gewidmet. Eines Deiner Hauptwerke sind die Erinnerungsspeicher ‚Speicherglas‘, eine großartige Installation. Über diese Arbeit haben wir einander näher kennengelernt und sie repräsentiert sicher etwas, das in Deinem OEuvre Gewicht hat: das Zusammenfassen oder eben Aufbewahren von gedanklichen oder auch textlichen Erinnerungen.

Sabine Müller-Funk: Ja, das würde ich auch sagen. Aber das Überlagern von Text, bis er nicht mehr lesbar ist, steht für mich im Augenblick gar nicht mehr im Vordergrund.

Maria C. Holter: Mit dieser Arbeit ist diese Phase also abgeschlossen?

Sabine Müller-Funk: Das kann auch wieder kommen, aber im Augenblick ist es eigentlich wieder so, dass der Text lesbarer ist und teilweise auch ironische Kommentare abgibt. Oder auch der Titel des Bildes…

Maria C. Holter: Wir sitzen hier in Deinem Wiener Atelier vor ‚Platons Pupille‘. Hier spielt auch Text auf einer Membran – oder eigentlich ist das Bild vor eine Membran geschichtet, der Text liegt dahinter – eine wichtige Rolle. Du sprichst das Ironische an. Was könnte man über diese Arbeit sagen, darüber, was Dich jetzt antreibt und Dich beschäftigt?

Sabine Müller-Funk: Da sind wieder auch mehrere Sachen, die mich daran interessieren: Das Erste ist einfach die Bildfindung. Das ist so etwas wie eine Beute, wenn man so etwas findet. Und dann ist es ja einfach interessant, wie der Text, der wie von hinten in ein Bild eindringt, die Bedeutung von einem Bild auch völlig verändern kann; also in dem Fall ist es die Pupille Platons. Dieses Höhlengleichnis finde ich immer wieder als Gedankenspiel interessant. Aber hier weiß man nicht so genau: Sitzt Platon in der Höhle und schaut hinaus aus der Höhle oder ist das die Pupille, die hineinschaut. Das ist ein Gedankenspiel, das mir Vergnügen bereitet, Lust an der Textfindung.

Maria C. Holter: Membranen kommen in Deinem Werk, besonders in den letzten fünf bis zehn Jahren immer wieder vor – in Form von Folien, von Textil und in Form der Mash-Materialien. Membran ist für Dich ja auch ein geeignetes Bild für die Art, wie man miteinander kommuniziert.

Sabine Müller-Funk: Für mich entstand die erste Beschäftigung mit dem Begriff der Membrane eigentlich durch das Material Glas. Was macht der menschliche Blick, wenn er auf eine gläserne Schicht trifft? Das fällt einem immer dann auf, wenn man Glas für irgendwelche Kataloge fotografieren möchte.

Maria C. Holter: Das ist ja nahezu unmöglich!

Sabine Müller-Funk: Es ist total schwierig, weil die Kamera eben nicht der menschliche Blick ist. Es ginge vielleicht mit einer Kamera, also mit einem Film, bei dem das Zoom immer woanders hingeht: entweder auf das Davor oder auf die Fläche selbst oder auf das Dahinter. Deswegen ist für mich das Glas oder dieses Wahrnehmen, die Sache, die da passiert, wenn man Glas anschaut, das Sinnbild für den menschlichen Blick; und der menschliche Blick passiert zwischen zwei Menschen während der Kommunikation. Das heißt, dieser Blick geht hin und her und verwebt gleichsam den Abstand zwischen den beiden Personen, im positiven aber auch im negativen Sinn. Es kann natürlich…

Maria C. Holter: … auch so etwas wie eine Folie zwischen zwei Gesprächspartnern sein.

Sabine Müller-Funk: Aber ganz neutral gesprochen: Eine Membran ist etwas halb Durchlässiges.Und deswegen hängt dieses Arbeiten mit dem Glas und mit diesen transparenten Geweben für mich zusammen.

Maria C. Holter: Eine logische Entwicklung also, dass Du Dich auch wieder vom Glas wegbewegt hast und neue Materialien, die diese Membranhaftigkeit in sich vereinigen, gefunden hast.

Sabine Müller-Funk (lacht): … und die auch leichter zu transportieren sind. Kunstschaffende sind ja heutzutage ständig unterwegs und da ist das ganz gut, wenn man etwas hat, das man zusammenrollen und leicht transportieren kann.

Maria C. Holter: Wir sprechen über Ortswechsel – das ist auch etwas, das Dich als Mensch charakterisiert. Du lebst in Wien, Du lebst in Drosendorf, warst früher viel in Griechenland, jetzt in Istrien. Du lässt Dich auch sehr gerne zu künstlerischen Symposien, national wie international, einladen. Wenn Du auf solchen Symposien oder Residencies bist, dann wirst Du doch auch mit Orten konfrontiert, die Du Dir erst erobern, die Du für Dich entdecken musst. Inwieweit spielt diese Erfahrung oder diese Art von Kunst-Machen eine Rolle, auf einen Ort zu reagieren? Was macht der Genius loci?

Sabine Müller-Funk: Ich arbeite natürlich immer an meinen Fragestellungen und Konzepten weiter. Der Genius loci ist dabei wieder das Spielerische, das Unwägbare, das in die Arbeit einfließt.

Maria C. Holter: Das heißt, Du nimmst Dein eigenes Anliegen wie ein ‚Binkerl‘ mit und packst es jeweils am neuen Ort aus.

Sabine Müller-Funk: Genau. Ich war zum Beispiel zu einem Land Art-Symposion in Japan eingeladen. Und da hab ich – deshalb muss ich unbedingt noch einmal nach Japan fahren – eigentlich die ganze Zeit nur in einem Bambuswald gearbeitet und praktisch einen Schriftzug herausgesägt, den man begehen konnte. Dann waren wir noch einen Tag in Tokio bei einer Ausstellung…

Maria C. Holter: Du weißt gar nicht, wie der Schriftzug weitergewachsen ist?

Sabine Müller-Funk: Genau.

Maria C. Holter: Womit wir wieder bei der Vergänglichkeit wären. Du hast anfangs gesagt, es ist Zeit, auf Dein künstlerisches Leben zurückzublicken. Ich hab nachgeschaut und festgestellt, es sind schon dreißig Jahre, dass Du Dich künstlerisch betätigst. Da gibt es auch Glücksmomente, die man nicht vergisst, aber vielleicht auch Tiefschläge oder widrige Umstände auch gesellschaftlicher Natur, die in einem Künstlerinnenleben eine Rolle spielen. Woran erinnerst Du Dich?

Sabine Müller-Funk: Ich erinnere mich natürlich gerne an alle Arbeiten in größerem Maßstab, die realisiert wurden und dann bleiben.

Maria C. Holter: Du sprichst hier auch Arbeiten an, die Du im öffentlichen Raum hinterlassen hast?

Sabine Müller-Funk: Eine Arbeit mit Text und Lyrik von Ingeborg Bachmann im öffentlichen Raum, in einem Hotel in Wien, finde ich nach wie vor schön – in einer Lobby, ein paar Meter hoch, sehr risikoreich. In Kirchen habe ich einiges realisiert, in Baden in der Stephanskirche, dann gibt es in Horn einige, beispielsweise im Weinviertel eine Installation in einer Kellergasse mit Spiegeln.

Maria C. Holter: Vielleicht ist da auch eines Deiner Hauptwerke zu nennen, das Du an verschiedenen Orten sehr unterschiedlich realisieren konntest, zuletzt in Stift Göttweig, und das doch eine sehr multimediale Sache geworden ist: die Arbeit zu den Psalmen des David ‚Psalm 151‘. Wobei ich mir die Frage gestellt habe, warum 151?

Sabine Müller-Funk: Eigentlich sind es 150 Psalmen. Aber es gibt ja noch apokryphe, die herausgefallen sind. Und die Neuinterpretation von mir ist sozusagen der 151.

Maria C. Holter: Der 151. Psalm – als deine Interpretation und die des Komponisten Lauermann, mit dem Du zusammengearbeitet hast.

Sabine Müller-Funk: … Wobei wir dabei parallel, in gegenseitiger Kommunikation, aber doch zwei sehr verschiedene Sachen gemacht haben.

Maria C. Holter: Wie gehst Du mit den gesellschaftlichen Umwälzungen um? Ich kenne Dich als sehr politisch denkenden und engagierten Menschen. Gehst Du trotzdem mit einem gewissen Optimismus in die Zukunft? Glaubst Du, dass sich Dein Engagement künftig auch mehr in Deiner Kunst widerspiegeln wird? Oder hältst Du das sehr getrennt?

Sabine Müller-Funk: Ich denke, dass das Politische der Kunst gerade darin besteht, uns nachdenklich zu machen. In einer meiner letzten Interventionen habe ich mich mit dem Thema ICH und WIR beschäftigt. Das sind gleichermaßen Gegensätze und Begriffe, die einander bedürfen. Viele politische Konflikte, die wir gegenwärtig erleben, haben mit dieser Relation zu tun. Das Politische würde ich also nicht grundsätzlich ausschließen. Kunst ist ja an sich schon politisch, indem sie die Möglichkeit des Neu-Sehens, die Möglichkeit der Veränderung aufzeigt. Die Texte, die ich teilweise verwende und die dann auch wieder durch Überlagerung oder Fragmentierung verschwinden, sind oft indirekt politisch: Zum Beispiel gibt es von mir eine ganze Serie von Arbeiten mit Texten von Dichtern und Dichterinnen, die verboten waren – Texte von persischen und jüdischen Frauen. Und zu Deiner ersten Frage würde ich sagen: Es wäre unvernünftig, nicht optimistisch zu sein, weil es einem mit Optimismus besser geht – gerade auch im Politischen.

Maria C. Holter: Zuletzt eine Frage, die mich ganz persönlich interessiert, weil Du auch schon selbst die Brücke zu Deiner Kindheit geschlagen hast: Was ist Deine erste Erinnerung an einen kreativen Akt; das erste Mal, wo Du Dir selbst noch heute bewusst bist, dass es ein künstlerisches Tun war? Es könnte sein, dass diese letzte Frage mit der ersten Antwort zu tun hat, mit Deiner Kiste – oder hast Du noch eine frühere Erinnerung?

Sabine Müller-Funk: Nein, ich glaube, diese Kiste war meine erste Konzeptkunst (lacht).

Maria C. Holter

2017